Im Austausch

Gemeinschaftserfahrungen gehören zum Leben dazu: Nicht nur auf der Arbeit oder daheim, nein, selbst in der Urlaubszeit kommt man mit anderen Menschen zusammen und muss sich irgendwie mit ihnen arrangieren. In einer überfüllten Bahn oder im Flugzeug kann man ja vielleicht noch der Devise folgen „Augen zu und durch“ – aber tagelang im Hotel oder auf einem Campingplatz, da funktioniert das nicht!

Dort treffe ich womöglich auf Menschen, die andere Vorstellungen davon haben, wie man miteinander umgeht. Die mich unfreiwillig teilhaben lassen an banalen oder höchst privaten Gesprächen übers Handy, an unsäglichen Lebensweisheiten, die sie wirklich niemandem vorenthalten wollen. Menschen, deren Kleidungsstil, Umgangston und Ansichten mir nicht sonderlich gefallen. Die mir den Nerv und schlimmstenfalls die ganze Freude am Urlaub rauben.

Mit etwas Glück können sich aber auch Zufallsbekanntschaften entwickeln mit Menschen, die mir sympathisch sind, die mir neue Einsichten vermitteln und an die ich noch lange Zeit zurückdenke, vielleicht gar auf ein Wiedersehen hoffe. Solche bereichernden Erfahrungen sind mitunter sogar mehr wert als all die anderen Eindrücke vom Urlaubsort!

Liebe Gemeinde, was zeichnet eine christliche Gemeinschaft aus? Gestützt auf das biblische Zeugnis spricht man von vier Säulen, auf denen die Kirche ruht, den sog. „notae ecclesiae“: Da ist die Lehre, die überliefert, bewahrt, vermittelt wird und über die man sich durchaus auch kritisch austauscht, damit sie für die Gegenwart verständlich und lebendig bleibt.

Da ist das Gebet, das die Menschen aus sich heraustreten lässt in der Zuwendung zu Gott und dem Nächsten. Das Dank und Klage, Sorgen und Hoffnungen, Sehnsucht und Ohnmacht Ausdruck verleiht, damit wir all das nicht für uns behalten müssen, sondern vorbringen, was uns umtreibt und beschäftigt, und was unser persönliches Leben ganz wesentlich bestimmt.

Da ist das Brotbrechen – eine heutzutage hierzulande eigenartig erscheinende, ritualisierte Form, wo doch eigentlich jeder zuhause Brot im Schrank hat und noch vieles mehr. Und so ist es auch weniger die leibliche Not, die wir in der Feier des heiligen Abendmahls in den Blick nehmen, sondern der Hunger aller Menschen – nach Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit, nach Erfüllung all dessen, was im Dunkel der Ungewissheit liegt.

Und dann ist da noch das vierte und letzte Zeichen – die Gemeinschaft der Gläubigen, ihr Miteinander, ihre Kommunikation, man könnte auch sagen: Die Kultur, in der ihre Glaubenshoffnungen im Alltag zueinanderfinden, wie oft man zusammenkommt, wie man da redet, nach außen wirkt, was für Ziele und Projekte man verfolgt usw.

Von einer „stabilitas loci“, einem festen Ort ist da erstaunlicherweise nicht die Rede, auch nicht von bestimmten Strukturen, Ämtern oder Regularien. Dass es so etwas geben muss wie die Gästeordnung auf einem Campingplatz versteht sich von selbst, aber die konkrete Gestaltung hängt offenbar allein von den jeweiligen Umständen ab, ist also auszurichten nach der Zeit und wechselnden Anforderungen: Grundsätzlich wichtig, aber doch nebensächlich in Form und Ausgestaltung. Zu lange und zu erbittert sollte man darüber nicht streiten, darüber gerät nur das Eigentliche aus dem Blick!

Je mehr Regeln bestehen, umso häufiger drohen Streit und Entzweiung selbst dort, wo doch alle im Grunde das gleiche wollen. Die besten Vorschriften, Geschäftsbedingungen und Vertragswerke sind vor allem jene, bei denen die gemeinsame Zielsetzung deutlich wird: Die nicht ständig Grenzen ziehen und mit Strafen drohen, sondern Grundlagen sichern für ein gutes Miteinander.

Gute Gemeinschaft gelingt dort, wo die meisten zumindest verstehen und akzeptieren, dass es alleine nicht geht, und gemeinsam natürlich auch nicht immer einfach ist. Wo man weiß, dass Konflikte entstehen, aber auch gelöst werden können. Wo Unterschiede klar benannt werden, aber nicht zu Machtmissbrauch und Ablehnung verleiten. Wo Kompromisse gemacht werden, zähneknirschend vielleicht – aber im klaren Bewusstsein, dass dabei immer noch viel Platz ist für große Liebe und Herzlichkeit.

So etwas sind Idealzustände, ähnlich wie sie die Apostelgeschichte beschreibt. Ich hadere immer ein wenig mit solchen strahlend hellen Erfolgsgeschichten: Ich komme mir da immer etwas schäbig und schmutzig vor, als ein „Mangelwesen“, das zurückbleibt hinter hohen Erwartungen, oder das gar Verrat begangen hat an den Ursprüngen der Kirche.

Ich helfe mir mit dem Gedanken, dass diese Beschreibung vielleicht auch etwas übertreibt, um uns aus allzu träger Selbstsicherheit zu locken. In den Briefen des Apostels Paulus an die Korinther, kaum älter als die Schilderungen in der Apostelgeschichte lesen wir ja bereits von zahllosen Konflikten und Streitereien in den Gemeinden und dürfen uns also trösten mit der Gewissheit, dass Kirche und Gemeinden auf Dauer kaum das reine Paradies sind!

Der Theologe Fulbert Steffensky schrieb: „Die Geschichte der ersten Gemeinde ist wie die Unruh einer Uhr: Sie treibt unsere Uhr beständig weiter und sagt uns, dass die Zeit des Gelingens noch aussteht, und dass wir noch nicht in dem Land sind, in dem alle in Frieden leben können“. Also: Kein Grund zur Resignation, Aufgeben gilt nicht und erst recht nicht der zu allen Zeiten beliebte Blick zurück, wo angeblich alles besser war: Der Zusammenhalt in der DDR, Zucht und Ordnung, die Fleischtöpfe Ägyptens und mehr Lametta am Tannenbaum.

Kirche wird auch beschrieben als „Leib Christi“ – ein Leib, der Form angenommen hat, der sichtbar, spürbar und natürlich auch verletzlich ist. Der eine unsichtbare Seele hat, die lebt und lebendig macht, auf der manchmal grausam herumgetrampelt wird und die manchmal alle erfüllt auf eine geheimnisvolle, wunderbare und sehr reale Weise.

Was wir zu Herzen nehmen, was wir von Herzen geben, das entscheidet maßgeblich, wie wir uns fühlen und wie wir leben – für uns selbst und mit anderen. Emotionen gehören dazu, denn nur was sich bewegen lässt, bleibt auch beweglich und kann Herausforderungen besser meistern, als wenn alles nur abprallt und abgewehrt wird.

Gefühle, Gedanken, Güter und nicht zuletzt den Glauben teilen – das macht auch die kleinsten Gemeinden großartig und lebendig! Zwei Jahre fast durfte ich das nun hier bei Ihnen in Theuma und Altensalz immer wieder erleben und sage daher an dieser Stelle Danke, dass sie diese Zeit und ihre Gemeinschaft so oft und in so herzlicher Form mit mir geteilt haben!

Es ist alles andere als selbstverständlich und keineswegs immer leicht, Vakanzen zu überbrücken, Lösungen zu entwickeln, zu organisieren, wechselnde Predigerinnen und Prediger zu hören und ungewohnte Lieder zu singen. In die Nachfolge Christi gestellt wissen wir, dass die Wege nicht immer gerade verlaufen, sondern oft mit Umwegen und Mühsal verbunden sind, dazu viel Kraft, Geduld und Mut erfordern.

Motivationstrainer empfehlen, sich dafür vor einen Spiegel zu stellen und immer wieder positiv zuzusprechen, bis man selbst zutiefst überzeugt ist und alles Negative verdrängt hat. Das ist nicht unsere Art und auch nicht unser Ziel als Kirche, als Gemeinde, als Gläubige:

Wir stellen uns gemeinsam unter das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus – wir alle, in all unserer Verschiedenheit, mit unseren Talenten und Macken, mit Schuld und Scham, schlimmsten Befürchtungen und größten Hoffnungen. Wir nehmen einander an, teilen, was uns bewegt und lassen uns bewegen. „Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden“.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft